Erste Förderphase

Neurofö

Evaluation von zwei Interventionen bei Kindern mit einer Lese- und Rechtschreibstörung - neuropsychologische und neurophysiologische Korrelate der Fördereffekte

Die Lese-Rechtschreibstörung (LRS) gehört zu den häufigsten umschriebenen Entwicklungsstörungen schulischer Fertigkeiten. Ca. 5% der Schülerinnen und Schüler in Deutschland leiden an dieser Störung und ihren Folgen. Dennoch gibt es nur eine sehr geringe Anzahl empirischer Studien, die die Wirksamkeit von Interventionen bei LRS untersucht haben und Wirkfaktoren auf neuropsychologischer, vor allem aber auf neurophysiologischer Ebene sind bisher kaum untersucht und verstanden.

Inhalt dieses Forschungsprojektes ist daher die Evaluation von zwei Förderkonzepten, einem Leseförder- und einem Rechtschreibförderkonzept für Grundschüler, auf neuropsychologischer wie auch neurophysiologischer Ebene. In einer Längsschnittstudie werden zwei Gruppen von Drittklässlern über sechs Monate intensiv gefördert und mit einer Wartekontrollgruppe, die erst nach sechs Monaten gefördert wird und einer nicht betroffenen Kontrollgruppe verglichen. Die Nachhaltigkeit der Fördereffekte wird ein Jahr nach Ende der Förderung untersucht.

Auf der einen Seite werden Verhaltensdaten erhoben, die Rückschlüsse über die Effektivität der Programme ermöglichen bzw. Auskunft darüber geben sollen welche Kinder von welchen Programmen besonders profitieren. Auf der anderen Seite wird die Gehirnaktivität mittels Elektroenzephalogramm (EEG) erhoben. Durch die Integration eines neurophysiologischen Untersuchungsparadigmas werden die neurophysiologischen Korrelate des Lesens und Rechtschreibens erfasst und die neurophysiologischen Veränderungen dieser beeinträchtigten Teilprozesse durch die Förderkonzepte abgebildet.

Ziel des Projektes

Dieses Forschungsvorhaben hat folgende zentrale Ziele verfolgt:

Verständnis der neurophysiologischen Korrelate von Therapieeffekten: Welche Prozesse und ihre neurophysiologischen Korrelate werden durch die Therapie verändert? Welche Prozesse gehen mit einem positiven und welche mit einem weniger positiven bzw. keinem Therapieeffekt einher?

Evaluation von zwei häufig in Deutschland angewandten Interventionen, für die, insbesondere für das Leseförderkonzept, kaum Evaluationsdaten vorliegen. Die beiden Förderkonzepte sollen aufgrund der Evaluationsergebnisse auf neurophysiologischer und neuropsychologischer Ebene ggf. verbessert werden, so dass die Förderung zukünftig spezifischer auf die individuellen Anforderungen der Kinder mit einer LRS zugeschnitten werden kann.

Überprüfung der Nachhaltigkeit der Effekte auf neuropsychologischer und neurophysiologischer Ebene nach einem Jahr .

Forschungsdesign & Untersuchungsmethoden

Die Studie erstreckte sich über einen Zeitraum von drei Jahren (März 2010 bis März 2013). In dieser Zeit fandendie jeweils sechs-monatige Förderung, die Testungen auf neuropsychologischer und neurophysiologischer Ebene, sowie die Datenauswertung statt. Die Testungen erfolgten in einem Prä-Post-Follow up-Design, also vor der Förderung, unmittelbar nach der Förderung und nach einem Jahr.

Die neuropsychologische Testbatterie beinhaltete unter anderem Tests zu Phonologie, Arbeitsgedächtnis, Intelligenz, Rechnen, Schreiben und Lesen. Auf neurophysiologischer Ebene wurden Ereignis-korrelierte-Potenziale abgeleitet, während die Kinder eine phonologisch-lexikalische Entscheidungsaufgabe bearbeiteten.

Die Stichprobe besteht aus insgesamt 90 Kindern im Alter von acht bis zehn Jahren, davon 62 Kinder mit einer diagnostizierten LRS und 28 im Lesen und Schreiben unbeeinträchtigte Kontrollkinder (KG). Die Kinder mit LRS sind in drei Gruppen eingeteilt: 1. Rechtschreibfördergruppe (RG): 20 Kinder erhielten das Marburger Rechtschreibtraining (Schulte-Körne, G. & Mathwig, F., 2001-2009); 2. Wartekontrollgruppe (WG): 20 Kinder wurden zufällig der Wartegruppe zugeordnet und erhielten ebenfalls das Marburger Rechtschreibtraining, jedoch verzögert um ein halbes Jahr; 3. Lesefördergruppe (LG): 22 Kinder wurden nach dem Kieler Leseaufbau (Dummer-Smoch, L. & Hackethal, R., 2007) gefördert. Die Förderung umfasste 38 Einzelförderstunden und fand zwei Mal die Woche für 45 Minuten statt.

Bisherige Ergebnisse

Die quantitative und qualitative Analyse der Lese- und Rechtschreibleistung vor und nach der Förderung zeigte, dass sich alle Kinder mit LRS signifikant verbesserten. Eine Überlegenheit einer einzelnen Gruppe fand sich nicht. Da sich auch die Wartegruppe (WG) der unbehandelten Kinder mit einer LRS verbessert hat, können keine eindeutigen Schlüsse über die Effektivität der Förderung und ihre neurophysiologischen Korrelate gezogen werden. Die Gründe hierfür sind unklar, müssen aber unbedingt verstanden werden. Betrachtungen auf individueller Ebene zeigten, dass eine spezifischere Zuweisung zu einzelnen Förderprogrammen notwendig ist. So waren in den beiden Fördergruppen Kinder zu beobachten, die sich deutlich in ihren schriftsprachlichen Leistungen verbesserten (mind. 5 T-Wertpunkte). Besonders bei der Verbesserung der Leseleistung war ein deutlicher Unterschied zwischen den Kindern der Interventionsgruppe, in denen sich 12 Kinder verbesserten, und der Wartegruppe, in der sich nur ein Kind verbesserte, zu beobachten. Leider wiesen alle Fördergruppen aber auch viele Kinder ohne Leistungsverbesserung auf. Beim Vergleich dieser Kinder (solche die deutlich profitierten und solche die nicht profitierten) konnten zwei wichtige Ergebnisse auf neurophysiologischer Ebene beobachtet werden. Bereits vor der Förderung fand sich ein Unterschied zwischen den Kindern, deren Leseleistung durch die Förderung um mindestens 5 T-Wertpunkte anstieg, unabhängig von der Art der durchgeführten Intervention, und den Kindern ohne Leistungsverbesserung. So zeigte die erste Gruppe eine signifikant höhere N300 Amplitude über fronto-temporalen Elektroden. Nach der Intervention verringerte sich die N300 Amplitude dieser Kinder und glich sich der Amplitude der Kontrollkinder und der Kinder die nicht von der Förderung profitierten an. Dies weist möglicherweise auf einen Kompensationsmechanismus oder sogar Prädiktor für Therapie-Response hin. Des Weiteren zeigte sich ein signifikanter Interventionseffekt in Form einer Normalisierung der N400 Komponente. Kinder, die positiv auf die Förderung ansprachen unterschieden sich nach der Förderung im Vergleich zu vor der Förderung in der N400 Komponente nicht mehr von den Kontrollkindern. Kinder ohne Leistungsverbesserung hatten auch nach der Förderung weiterhin eine signifikant niedrigere N400 Amplitude im Vergleich zur Kontrollgruppe. Dies spricht dafür, dass durch erfolgreiche Förderung neurophysiologische Veränderungen bewirkt werden können.

Kontakt

  • Prof. Dr. Gerd Schulte-Körne (Projektleitung, Ludwig Maximilians Universität München)
  • Mitarbeiter

    Jennifer Bruder (Psychologin, M.Sc.)
    Katarina Groth (Psychologin, M.Sc.)
    Sandra Hasko (Dipl-Psych.)
    Sarah Kunze (BTA)

  • Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität München